Köche als Lebensberater?

2. April 2021

Köche als Lebensberater?

„Ein Kochbuch ersetzt heute die Lebensberatung“ titelte das NZZ Feuilleton vom 16.Dezember 2020. Als pensionierter Seelsorger weckte diese Überschrift in mir natürlich sofort Interesse. Der Autor, Rainer Moritz, verweist nach einem kurzen Blick auf die Entwicklung der Kochbücher im 20. Jahrhundert auf die Emotionalisierung der Speisen in den heutigen Kochbüchern und beschreibt dann mit einem sanft sarkastischen Unterton, wie Köche einen Kartoffel-Rosenkohl-Mix als Heilmittel für alles deklarieren können oder von tröstlichen Aufläufen und seelenwärmenden Speisen reden.

Was man auch immer von diesen metaphysischen und esoterischen Zuschreibungen halten mag, die den Speisen hier angedichtet werden, der positive Effekt von ausgewogenem, genussvollem Essen auf den Menschen bleibt unbestritten. Dies nicht zuletzt deshalb so, weil Kochen und Essen zu den ursprünglichsten Beschäftigungen des Menschen gehören und etwas archaisch Befriedigendes an sich haben, weil sie ein Grundbedürfnis stillen. Darauf hat schon die Schweizer Kochlegende Elfie Casty hingewiesen, wenn sie schreibt, dass das Kochen an sich etwas mit Glücklichsein zu tun habe. Dies macht Köche aber noch lange nicht zu Lebensberatern.

Gesunde Ernährung ist für den Körper wichtig und sie kann auf das Gemüt einen positiven Einfluss haben. Aber gibt es tatsächlich eine therapeutische Wirkung des Essens auf die Seele? Tanja Grandits Behauptung im oben erwähnten Artikel, gutes Essen ermögliche es einem letztlich gut zu denken, gute Ideen zu haben und richtig zu handeln, ist sicherlich übertrieben. Zu komplex sind psychosomatische Zusammenhänge, als dass sie durch ein Esserlebnis so stark beeinflusst werden könnten. Bei allen positiven Effekten des Essens auf den Menschen, muss man auch die Grenzen respektieren. So ist es falsch, Essgewohnheiten für alle körperlichen und psychischen Beschwerden verantwortlich zu machen und genauso falsch ist es, Essen generell als therapeutisches Mittel zu propagieren.

Dass Kochen und Essen aber sehr wohl etwas mit Wohlergehen zu tun haben, wird auch aus den verschiedenen Bezeichnungen für Gaststätten deutlich. Im Tessin hat mich einmal ein Gastronom über diese Begriffe aufgeklärt. Eine Osteria (von oste = Gastwirt) war ursprünglich ein Gasthof, in dem man in der Regel auch übernachten konnte, eine Trattoria (von trattare = behandeln) bezeichnete einen Ort, wo man ein einfaches Gericht bekam, meistens nur zur Mittagszeit und im Ristorante (von ristorare = sich erholen, sich stärken) behandelte man Gäste vorzüglich; es ging es um ein gepflegteres Essen in einer speziellen Atmosphäre. Natürlich sind diese Begriffe heute oft austauschbar geworden, aber sie zeigen, dass Essen von jeher mit mehr zu tun hatte als bloss damit, sich zu ernähren. Im Französischen soll die Bezeichnung „Restaurant“ auf einen Suppenkoch des späten 18. Jahrhunderts namens Boulanger zurückgehen, der zu seinen Suppen auch kleine Imbisse reichte. Über dem Tor zu seiner Küche in der Pariser Rue des Pouliers habe ein Bibelvers gehangen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“(Mat. 11:28). Volià, da haben wir’s – eben doch eine Verbindung zur Lebensberatung?

Ich rufe zur Bescheidenheit auf. Bleiben wir als Kochende demütig und freuen wir uns, wenn wir dazu beitragen können, dass Kochen und Essen andere erquickt und für uns eine fröhliche Angelegenheit bleibt, die nicht zu tödlicher Routine oder lästiger Alltagsverpflichtung verkommt. Freuen wir uns, wenn die liebevolle Zubereitung von Speisen positive Auswirkungen auf Geist, Seele und Leib unserer Gäste oder Familienmitglieder haben. Freuen wir uns, wenn unsere gastronomischen Aktivitäten Gemeinschaft, Kommunikation und Geselligkeit fördern und so einen Beitrag zur Zufriedenheit, Entspannung und Lebensfreude anderer leisten und überlassen wir die Lebensberatung den entsprechenden Fachleuten.

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